Die Folgen des Klimawandels, die Kontroverse um die Energiewende, die Qualität der medizinischen Versorgung, die Konsequenzen der Gentechnik, die Chancen und Risiken von Big Data – fast alle Zukunftsfragen unserer Gesellschaft haben einen wissenschaftlichen Kern. Ohne das Wissen der Wissenschaft lassen sich Debatten über Handlungsmöglichkeiten unserer Gesellschaft nicht sinnvoll führen. Eine fundierte Berichterstattung ist die elementare Voraussetzung dafür, dass wir in informierter Weise Entwicklungen in der Wissenschaft erkennen, verstehen und beurteilen können. Guter Wissenschaftsjournalismus trägt ganz wesentlich dazu bei, dass eine demokratische Gesellschaft die bestmöglichen Entscheidungen für ihre Zukunft treffen kann.
Die Wissenschaftssendungen des WDR und der ARD insgesamt leisten diesen wichtigen Dienst für die öffentliche Meinungsbildung und genießen deshalb bundesweit eine hohe Wertschätzung. Die nun bekannt gewordenen Sparmaßnahmen bei den Honoraren freier Autoren, die Budgetkürzungen bei Wissenschaftsformaten wie W wie Wissen und Leonardo sowie die Kündigung der WDR-Beteiligung an der Wissenschaftssendung nano bedrohen Renommee und Leistungsfähigkeit des Wissenschaftsjournalismus im WDR und weit darüber hinaus. Die Kompetenz regelmäßiger Berichterstattung über wissenschaftliche Themen ist vor allem deshalb ein Feld professioneller Fachjournalisten, weil die Welt der Wissenschaft komplex ist und sich disziplinär differenziert.
Wir aus Politik, Kultur, Wirtschaft und Wissenschaft empfinden die aktuelle Entwicklung im WDR als besorgniserregend: Wir befürchten, dass dies zu einer Erosion gehaltvoller Wissenschaftsberichterstattung in der ARD allgemein führen könnte. Die angekündigten Kürzungen bedrohen nicht nur die Existenz freier Wissenschaftsautoren in Hörfunk & TV – sie torpedieren auch den gesellschaftlichen Bildungsauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.
Wir verstehen, dass der WDR gezwungen ist, Budget einzusparen. Und selbstverständlich ist es nicht nur legitim, sondern notwendig, dass ein Sender die internen Abläufe, Produktionsweisen und seine redaktionelle Organisation verändert und erneuert, um professionellen Wissenschaftsjournalismus gewährleisten zu können. Aber es erfüllt uns mit großer Sorge, dass nicht zu erkennen ist, wie der WDR künftig eine gehaltvolle Wissenschaftsberichterstattung sicherstellen möchte – in eigenen Sendungen, aber auch in tagesaktuellen Formaten.
Reine Etatkürzungen ohne eine begleitende Strategie werden fatale Folgen haben für ein Kerngebiet öffentlich-rechtlicher Berichterstattung.
Die Zukunftsfähigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks hängt entscheidend davon ab, dass er relevante journalistische Inhalte produziert und deshalb auch für nachwachsende Generationen glaubwürdig und unverzichtbar bleibt. In diesem Geiste haben sich der WDR und die gesamte ARD-Familie über Jahrzehnte ihr heutiges wissenschaftsjournalistisches Renommee erarbeitet. Diese Haltung muss richtungsweisend bleiben, wenn es nun gilt, den neuen Herausforderungen in einer sich rasant verändernden Medienlandschaft zu begegnen.
Deshalb fordern wir eine ehrliche und offene Debatte über die Strategie und die Formate, mit denen der WDR künftig über Wissenschaft berichten will.
Herr Buhrow, für uns alle ist Wissenschaft keine „Nische“. Eine gehaltvolle und gut recherchierte Wissenschaftsberichterstattung ist für Entscheidungen in der Demokratie überlebenswichtig – und wir erwarten, dass der WDR hierfür sorgt.
Wir laden Sie ein, darüber mit uns in den Dialog zu treten.
unser Aufruf hatte Erfolg – WDR Intendant Tom Buhrow hat binnen weniger Tage auf unser Anliegen geantwortet. Grundsätzlich freut uns diese Reaktion sehr, zeigt sie doch, dass unsere Bedenken ernst genommen werden und dass es Hoffnung gibt, dass der WDR sich nicht aus seiner einzigen aktuellen Wissenschaftssendung im Fernsehen zurück zieht – auch mit angestoßen durch unseren Aufruf.
Die WPK wird dem Intendanten in einem persönlichen Brief antworten, hier unsere Einschätzung der Situation. Zunächst ein kurzer Faktencheck der Angaben zur vermeintlich paradiesischen Lage der Wissenschaft im WDR.
Diese Debatte über Zahlen und Interpretationen ließe sich lange fortsetzen. Die Punkte berühren aber gar nicht das Hauptanliegen unseres Aufrufs, den wir ganz bewusst unter den Titel „keine-nische.de“ gestellt haben.
Es geht nicht vorrangig darum, ob einzelne Wissenschaftssendungen ein wenig schlechter ausgestattet werden. nano ist die einzige TV-Sendung im WDR, die tagesaktuell berichtet. Wird die Mitarbeit an dieser Sendung eingestellt, geht die aktuelle wissenschaftliche Kompetenz verloren. Wer für nano arbeitet – ob als festangestellter Redakteur oder als Autor – erwirbt sich durch die tagtägliche Beschäftigung mit Themen aus der Wissensschaft eine Expertise, die dann auch von anderen aktuellen Sendungen abgerufen werden kann.
Wenn Bakterien und Viren die Bevölkerung bedrohen, Genmais angeblich Krebs auslöst oder Wundersalben vermeintlich Neurodermitis heilen, können „im aktuellen Feuer stehende“ Wissenschaftsjournalisten die Lage schnell einschätzen. Fehler werden vermieden, was die Qualität öffentlich-rechtlicher Berichterstattung deutlich macht. Hintergrundsendungen wie Quarks&Co oder auch ein sporadisches, vermutlich sehr unterhaltsames Format im Ersten sind dafür kein Ersatz. Sie sind, um beim Titel der Web-Seite zu bleiben, typische Nischensendungen.
Autoren und Redakteure dieser Sendungen sind im aktuellen Fall vermutlich nicht einmal zu erreichen, zudem beschäftigen sie sich mit ganz anderen Themen. Die Mitarbeit bei nano lässt sich der WDR jährlich 250 000 Euro (plus Personalkosten für einen Redakteur) kosten. Ist die Einsparung einer für den Fernsehbereich geringen Summe es tatsächlich wert, sich dadurch den Weg zur aktuellen Berichterstattung zu verbauen? Und da der Ausstieg des WDR bei nano die Sendung insgesamt gefährdet, steht damit die aktuelle Wissenschafts-Berichterstattung im gesamten öffentlich-rechtlichen Fernsehen auf dem Spiel. Wir würden gerne den umgekehrten Weg gehen, und die Wissenschaft zum selbstverständlichen Bestandteil aktueller Sendungen machen – etwa im Team mit Kollegen von Tagesschau und Tagesthemen. Doch dafür ist eine Sendung wie nano die Basis.
Wir möchten die Verantwortlichen des WDR gern zu einem Gespräch über diese Strategie einladen – und werden im Laufe der nächsten Wochen einen konkreten Vorschlag dafür erarbeiten.
Weitere Unterzeichner: Dipl.-Geogr. Lisa Junghans, Wolfgang Auer, Prof. Dr. med. Thomas Lempert, Judith Merkelt, Tobias Pforte-von Randow, Susanna Flansburg, Sebastian Tilch, Boris Schinke, Mechthild Heikenfeld, Dr. Fabian Hüttig, Ilonka Mai, Christiane Weinreich, Janine Tychsen, Immo Sennewald, Christoph Bals, Dr. rer.nat. Christian Hoppe, Ulrich Beilfuß, Christian Weber, Helga Rietz, Hannelore Gießen M. Sc., Christoph Drösser, Dagmar Hillebrand, Manfred Steuerwald, Dr. med. Dörte v. Drigalski, Dipl.-Biol. Ulrike Roll, Sebastian Jünemann, Thomas Riedel, Reiner Lingelbach, Volker Gayk, Jürgen Dreher, Tom Opitz, Elke Weißhaupt, Ulrich König, Dr. Tanja Scherzer, Prof. Dr. Tom Bschor, Univ. Prof. Dr.-Ing. Ralf Otterpohl, Dr. Uta Tietz, Dr. Monika Offenberger, Richard Buschbeck, Florian Schnürer, Regine Böttcher, Dr. med. Dieter Lehmkuhl, Ina Steckenreuter, Kerstin Gründer, Carolin Blefgen, Cornelia Umlauf, Dr. med. L. Bruegmann, Dr.-Ing. Ercan Altinsoy, Dr. med. Peter Kardos, Hermann-Josef Wöhlert, Angela de Sunda, Rikarda Licht, Roland Holtz, Detlef Böhmer, Dr. med. Ludger Hartmer, Norbert Grust, Dr. rer. nat. Christiane Hohensee, Dr. med. Paul Korzeniowski, Petra Ackers-von Thenen, Univ.-Prof. Dr. Dr. Kai Vogeley, Kai Radtke, Stefan Bernauer, Verena Müller, Wilhard Boettcher, Dr. Birgit Grave, Stephan Kruip, Thomas Ahrendt, Monika Huber, Matthias Ebel, Valerie Bolzano, Stefan Rogge, Gabriela Chokoufé, Heiko Rode, Claudia Dürr, Anita Idel, Norbert Kleiner, Petra Urso, Conny Modauer, Annette Günzel, Kerstin Hesse, Elena Mia Riedl, Kai Radtke, Christian Keller, Dr. Michaela Schuhmann, Dr. Udo Griebsch, Dr. Nina Mahnecke-Sleyoum, Prof. Dr. Stefan Jordan, Bernd Kehren, Nina Giaramita, Dr. med. Wittich Berger, Dr. Michael Binzberger, Jutta Kubilus, Jörn Henn, Christiane Löll, Alexander Lüdeke, Alfred Mignon, Till Kelpe, Hans-Jürgen Zeese, Dr. med. Eckhard Schreiber-Weber, Dr. S. Pornschlegel, Marie Telschow, Christa Bast, Dr. Helge Knüttel, Silke Hehner, Armin Olbrich, Julia Offe, Dr. Frauke Haardt-Radzik, Katja Dammann, Regina Dostal, Dr. med. Andrea Steffen, Antje Findeklee, Bernd W. Hennig, Ingo Gregor, Doris Biesenbach, Christiane Streckfuß, Dr. Martin Wein, Christopher Douglas Jones, Dr. Martin Hubert, Martin Pehe, Rolf Wagels, Dr. Joachim Schlosser, Dennis B. Ahndorf, Prof. Dr. Martina Roes, Barbara Köster-Ewald, Ursula Heinen-Esser, Ilka Bickmann, Prof. Ralf. B. Wehrspohn, Robert Salzmann, Florian Frank, Detlef Axmann, Agnes Fischer, Helena Rose, Michael Brendler, Dr. med. Steffen Rabe, Guido Werner, Udo Steigerwald, Gunnar Ries, Stephanie Hanel, Gregor Honsel, Anja Richter, Dr. Christoph Specht, Bettina Wiegand, Dorothee Menhart, Katharina Mader, Dr. Robert Fiedler, Walburga Freitag, Stefan Martini, Karin Banduhn, Bernhard Budig, Lena Hofmann, Susanne Delonge, Karl Großkurth, Stefan Geier, Tilo Arnhold, Hendrik Brunckhorst, Daniela + Sören Deglow, Hedwig Diekwisch, Ulrich Bahnsen, Wolfgang Noelke, Thomas Schlenstedt, Albert Gerdes, Marianne Weyrauch, Dr. Bärbel Brettschneider-Heil, Stephan Hartmann
„Gerade im Bereich Medizin und Gesundheit braucht es Profis, die zwischen Sinn und Unsinn unterscheiden können. Unabhängiger Wissenschaftsjournalismus ist keine Nische, sondern der Kern des Öffentlich-Rechtlichen Systems.“
„Für die Stärkung des Wissenschaftsjournalismus, damit Dinge auch künftig so hinterfragt und beschrieben werden, dass Laien sie verstehen können.“
„Die Wissenschaftsthemen gehören zu den ersten Gründen, warum ich der ARD auch als Zuschauerin treu bleibe.“
„nano ist eine der letzten Bastionen eines kritischen, modernen Wissenschaftsjournalismus – nano darf nicht sterben.“
„Wissenschaftsjournalismus ist unentbehrlich.“
„Wir brauchen mehr als gut geschriebene Pressemitteilungen und Erfolgsmeldungen aus der Wissenschaft.“
„Wenn wir die großen Fragen beantworten wollen, wie wir auf diesem Planeten leben können, müssen die Menschen, die uns allen bei den Antworten helfen, auch selber davon leben können. So einfach. So wichtig.“
„Wissenschaft hat nur dann eine langfristige gesellschaftliche Wirkung, wenn ihre Bedeutung nicht nur von einer Wissenselite verstanden wird.“
„Wissenschaft muss kommuniziert werden. Wissenschaft ist kein Luxusgut. Wissenschaft ist unverzichtbarer Rohstoff für unsere Gesellschaft.“
„Heute am Wissenschaftsjournalismus zu sparen ist kurzsichtig – und kommt uns alle morgen teuer zu stehen.“
„Als Anstalt des öffentlichen Rechts steht der WDR in der Verantwortung, Wissenschaftsjournalisten auch in Zukunft eine stabile redaktionelle Heimat zu geben.“
„Ohne Wissenschaft in den Medien kann unsere Gesellschaft nicht funktionieren. Darum haben wir als Bürger und Zuschauer alles Recht darauf zu bestehen, dass die Öffentlich-Rechtlichen ihrem Auftrag nachkommen – und nicht nur Quote machen.“
„Die großen Herausforderungen unserer Zeit beweisen, dass wissenschaftliche Themen eine immer bedeutendere Rolle in der Gesellschaft spielen werden. Deshalb brauchen wir mehr Geschichten, verständlich aufbereitet von kompetenten Wissenschaftsjournalisten, und nicht weniger.“
„Ohne Wissenschaftsjournalismus liefern wir unsere Hörer und Leser an Marketingkampagnen und Pseudowissenschaftler aus. Das kann der WDR nicht wollen.“
„Medien ohne Wissenschaft: Das heißt dann wieder Masernausbrüche, Chlorbleiche gegen Autismus und Diätempfehlungen, die auf Schrottstudien basieren.“
„Hören, Sehen, Lesen reicht nicht – es geht ums Verstehen: Qualitativ hochwertiger Wissenschaftsjournalismus ist für eine demokratische Gesellschaft Voraussetzung!“
„Wissenschaft ist niemals in der Nische, sondern im Zentrum der Gesellschaft. Wo wären wir ohne sie?“
„Neues Wissen muss ständig in den Kontext der vorhandenen Weltanschauungen, Werte und Überzeugungen eingeordnet werden. Gerade weil Wissen als wichtigster Rohstoff der Gesellschaft ungleich verteilt ist, braucht es mehr qualifizierten Wissenschaftsjournalismus in den Massenmedien.“
Wenn Bakterien und Viren die Bevölkerung bedrohen, Vulkanausbrüche den Flugverkehr lahmlegen oder Atomkraftwerke explodieren, überblicken Wissenschaftsjournalisten schnell, welche Experten dazu befragt werden können und ob eher Alarmierungoder beschwichtigende Zurückhaltung angemessen ist.
Das Aufdecken von Übertreibungen und versteckten Interessen gehört heute zum Kerngeschäft von Wissenschaftsjournalisten. Sie ordnen und bewerten neue Forschungsergebnisse. Hinterfragen, auch Fehlentwicklungen im Wissenschafts- und Forschungsbetrieb kritisch, in den alljährlich Milliarden von Euro an Steuergeldern fließen. Wissenschaftsjournalisten wurden vom „Chearleader“ zum „Watchdog“ der Wissenschaft, wie das Fachblatt Nature 2009 titelte.
Wissenschaftsjournalisten erfassen die Studienlage, wenn Genmais angeblich Krebs auslöst oder verhindern, dass die Meldung von angeblich schlank machender Schokolade ungeprüft im Vermischten landet. Die Beobachter der Wissenschaft wissen zudem auch, dass ein erster erfolgreicher Test eines neuen Wirkstoffs auf Zellkultur-Ebene noch lange nicht heißt, dass daraus je ein Medikament für Menschen wird.
Die Wissenschaftsressorts gehören immer wieder zu den ersten, bei denen Verlage oder Senderleitungen Sparpotential zu erkennen meinen. Eine fatale Entwicklung in Zeiten, in den Wissenschaft und Technik unsere Welt zunehmend bestimmen. „When independent science journalism is most needed, its economic basis is eroding” bringt es Martin Bauer auf den Punkt, Editor der Zeitschrift „Public Understanding of Science“.
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Ziel der WPK ist es, die Qualität im Wissenschaftsjournalismus zu fördern. Dazu bietet sie ihren Mitgliedern Seminare, Hintergrundgespräche und Recherchereisen an sowie Workshops zur beruflichen Fortbildung. In der Öffentlichkeit tritt die WPK als Veranstalter von Diskussionsrunden auf, mit denen sie den Dialog zwischen Wissenschaft, Politik und Gesellschaft beleben will. Die Mitglieder der WPK sind hauptberufliche Wissenschaftsjournalistinnen und Wissenschaftsjournalisten, die – angestellt oder frei – für Printmedien, Hörfunk, Fernsehen und/oder Internet arbeiten.